Jablonski im Interview: „Ich bin froh über den Videobeweis“

Sven Jablonski Bundesligaschiedsrichter
Sven Jablonski - hier im Burgwall-Stadion zu sehen - leitet seit September 2017 für unseren Blumenthaler SV Spiele in der Bundesliga. (Bild: Matthias Dreier)
Der Blumenthaler Bundesliga-Schiedsrichter Sven Jablonski im Interview mit dem Weser-Kurier

(Quelle: Mathias Sonnenberg – Weser-Kurier)

Herr Jablonski, Videokeller war wohl das Wort des Jahres im Zusammenhang mit Schiedsrichtern. Wie ist das eigentlich im Videokeller in Köln?

Sven Jablonski: Ein Einsatz im Video-Assist-Center, also dem VAC, ist natürlich mit anderen Aufgaben und Perspektiven verbunden, als ein Einsatz auf dem Platz.

Ist man nicht enttäuscht als Schiedsrichter, wenn man vom DFB für den Videokeller nominiert wird und nicht für ein Stadion?

Auf dem Platz bekommt man die ganzen Emotionen des Spiels und der Fans direkt mit, als Schiedsrichter ist man verantwortlich für sein gesamtes Team mit den Assistenten und Video-Assistenten in Köln. Als Video-Assistent ist man eine zusätzliche Hilfe für den Schiedsrichter auf dem Platz. Beide Rollen sind extrem anspruchsvoll und verantwortungsvoll.

Wie läuft das ab, wenn Sie im Videokeller arbeiten?

Wir treffen uns zwei Stunden vor dem Anpfiff. Dann ist die obligatorische Platzbegehung, wir checken die Mikrofone mit dem Schiedsrichter und den Assistenten im Stadion, die Torlinien-Technik, die Tonspur, auch die Kameras werden überprüft. Eine halbe Stunde vor dem Anpfiff gibt es den zweiten Soundcheck, dann wird auch die Trikot-Farbe abgeklärt.

Trikot-Farbe? Sitzen Sie in Schiedsrichterkluft vor den Bildschirmen?

Ja, die Schiedsrichter im Stadion und die Video-Assistenten im Video-Assist-Center haben die gleichen Trikots an. Wir sind ja ein Team. Außerdem gibt es ja auch eine Kamera, die im VAC auf uns gerichtet ist und bei einem On-Field-Review zeigt, wie dort gearbeitet wird. Ich finde es gut, dass wir im einheitlichen Schiedsrichter-Dress zu sehen sind, denn damit wird es auch für den TV-Zuschauer deutlich, dass wir ein Gespann sind.

Also sitzen Sie da nicht gemütlich mit Kaffee und Nüsschen?

Nein, ganz bestimmt nicht. Aber auch nicht mit Schienbeinschonern und Stollenschuhen, sondern ganz professionell im Schiedsrichter-Trikot.

Und ist das wirklich im Keller?

Die Räumlichkeiten befinden sich im sogenannten Cologne Broadcasting Center in Köln-Deutz. Mit dem Fahrstuhl fährt man in die untere Etage, die vor Saisonbeginn durch moderne Umbaumaßnahmen nahezu komplett umgestaltet wurde. Das erweiterte Video-Assist-Center bietet professionelle Arbeitsbedingungen und auch ein neues Beleuchtungskonzept, das weiter verbessert worden ist. Es ist wirklich hochmodern.

Und dann sitzen Sie da und schauen, ob dem Schiedsrichter im Stadion ein Fehler unterläuft?

Als Video-Assistent halte ich mich zurück und greife nur dann ein, wenn dem Schiedsrichter ein klarer und offensichtlicher Fehler unterlaufen ist. Dann ist es die Aufgabe des Video-Assistenten, dem Schiedsrichter das beste Bild in der Review-Area zu liefern. Das erfordert höchste Konzentration und Präzision. Insgesamt gibt es vier Bildschirme pro Spiel. Auf dem Hauptmonitor verfolgen wir das Spielgeschehen in Echtzeit. Neben der Hauptkamera befindet sich ein Bildschirm, auf dem die TV-Übertragung läuft. Auf dem dritten Monitor werden alle verfügbaren Kameraperspektiven angezeigt und zusätzlich gibt es einen Splitt-Screen, der die Bilder mit drei Sekunden Verzögerung zeigt.

Warum das?

Die zeitliche Verzögerung bietet die Möglichkeit, eine auf dem Haupt-Monitor als überprüfungswürdig wahrgenommene Situation unmittelbar zu überprüfen. Beispielsweise bleibt ein Stürmer im Strafraum liegen und das Spiel geht weiter. So können wir innerhalb kürzester Zeit mit einem Blick vier verschiedene Kameraperspektiven überprüfen, ohne dass eine Unterbrechung im Spiel erforderlich ist.

Mit wie vielen Leuten sitzen Sie vor den Schirmen?

Wir sind bei jedem Bundesligaspiel zu viert. Es gibt einen VA, also den Video-Assistenten, plus einen AVA, einen Assistenten des VA, plus zwei Operatoren, die uns die Bilder zur Verfügung stellen. Vor jedem Spiel findet eine Teamabsprache statt.

Ist das nicht ein riesiger Stress für den Schiedsrichter, wenn das ganze Stadion darauf schaut und wartet, wie er nach dem Blick auf den Bildschirm am Spielfeldrand entscheidet?

Wissen Sie, früher habe ich mich als Schiedsrichter sehr geärgert, wenn ich in der Pause oder nach dem Spiel im Fernsehen gesehen habe, dass meine Entscheidung falsch war. Jetzt habe ich eine Entscheidungshilfe, die mich vor klaren und offensichtlichen Fehlentscheidungen bewahrt. Das kann unheimlich wertvoll sein.

Fühlen Sie sich sicherer?

Ja, absolut! Ich verstehe die Emotionen um dieses Thema, aber ich werbe für Verständnis, denn es sind ja immer Menschen, die entscheiden müssen. Und als Schiedsrichter bist du froh, wenn du eine Absicherung hast, einen klaren Fehler zu korrigieren. Diese Jahrhundert-Fehlentscheidungen von früher sind heute ausgeschlossen.

Wie oft haben Sie in dieser Saison schon den Video-Assistenten gebraucht?

Nur einmal, da ging es um eine knappe Abseitsentscheidung. Als Schiedsrichter freust du dich immer, wenn du den VA nicht brauchst, denn dann hast du einiges richtig gemacht. Und ein Schiedsrichter muss pro Spiel um die 170 Entscheidungen fällen. Deshalb ist man für jede Unterstützung im Team dankbar.

Mario Gomez wurden zuletzt vier Tore per Videobeweis aberkannt. Er meinte, die Schiedsrichter würden sich an ihm rächen. Kennt ein Schiedsrichter solche Gefühle?

Bei den von Ihnen angesprochenen vermeintlichen Torerzielungen haben die Schiedsrichter-Assistenten an der Linie jeweils auf Abseits entschieden und einen super Job gemacht. Der Video-Assistent hat diese korrekten Entscheidungen nur bestätigt. Bei Abseitsentscheidungen gibt es grundsätzlich keinen Spielraum – da gibt es nur Abseits oder kein Abseits.

Also ist der Fußball durch den Videobeweis gerechter geworden?

Absolut! Wir haben doch eine Reihe von Fehlentscheidungen, die korrigiert wurden, damit ging die Fehlerquote deutlich zurück. Wir müssen bei den Entscheidungsprozessen noch transparenter werden, aber mittlerweile werden die einzelnen Arbeitsschritte ja auch auf den Leinwänden in den Stadien gezeigt. Da werden die Zuschauer besser mitgenommen als im ersten Jahr der Einführung.

Was nervt Sie eigentlich bei den Spielern auf dem Platz am meisten?

Wir Schiedsrichter kämpfen für Fairplay und haben einen unglaublichen Gerechtigkeitssinn. Da stören Unsportlichkeiten, das Reklamieren von Spielern und natürlich wenn ein Spieler den Schiedsrichter beispielsweise bewusst durch eine Schwalbe täuschen will. In diesen Bereichen müssen die Spieler, Trainer und Verantwortlichen noch mehr an ihre Vorbildfunktion denken, und wir Schiedsrichter müssen Reklamationen und Schwalben strenger handhaben.

Was war Ihr bestes Spiel in dieser Saison?

Ein bestes Spiel gibt es nicht, aber viele richtig interessante Begegnungen. Ich durfte als Bremer das Hamburger Derby zwischen St. Pauli und dem HSV pfeifen, das war an einem Montagabend bei Flutlicht. Es war das Zweitliga-Spiel mit der höchsten Einschaltquote aller Zeiten bei Sky. Düsseldorf gegen Köln war ein tolles, intensives Derby, aber auch im ausverkauften Olympiastadion, bei Hertha BSC Berlin gegen Borussia Dortmund vor fast 75.000 Zuschauern auf dem Platz stehen zu dürfen, war natürlich besonders.

Da waren Sie der erste Schiedsrichter, der Mats Hummels vom Platz geschickt hat.

Wenn man sieht, wie viele Spiele Mats Hummels gemacht hat und dass dies die erste Gelb-Rote Karte war, kann man daraus erkennen, dass er ein sehr fairer Spieler ist. Im Fokus der Berichterstattung standen nicht die Schiedsrichterentscheidungen, das ist immer ein gutes Zeichen.

Man kann also sagen: Läuft bei Sven Jablonski! 

Ja, zu mindestens aktuell läuft es sehr gut, leider kann es sich im nächsten Spiel sofort ändern. Ich war in der Hinrunde das erste Mal international als vierter Offizieller in der Champions League und in der Euro League im Einsatz. Im März geht es zu einem Uefa-Lehrgang, danach ist man dann ein halbes Jahr mit einem eigenen Coach der Uefa im Austausch. Ich freue mich schon auf diese Erfahrung, die ganz sicher anstrengend und wertvoll sein wird. Und im September gibt es dann ein Vertiefungsseminar der Uefa.

Und dann pfeifen Sie international?

Nein, der DFB entscheidet immer zum Jahresende, wann und ob ein Bundesliga-Schiedsrichter für die internationale Liste nominiert wird.

Wie halten Sie sich fit?

Ich absolviere mittlerweile tägliche Fitness-Einheiten. Wir haben eine Polar-Uhr vom DFB bekommen, die ich immer trage und meine Trainingseinheiten aufzeichne. Unser Fitness-Coach beim DFB kann genau sehen, wie ich trainiere und dann sagen, was ich gegebenenfalls verändern muss. Früher bin ich nur durch den Bürgerpark gejoggt, unser Fitnessprogramm heute ist schon viel umfangreicher. Einmal die Woche gehe ich zu einem Physiotherapeuten.

Das klingt sehr professionell.

Absolut, wir Schiedsrichter im Profifussball sind alle Leistungssportler. Die Gesundheit ist das höchste Gut und die körperliche Fitness ist eine wichtige Voraussetzung. Die Balance im Leben ist aber extrem wichtig.

Und wie oft sieht Sie Ihr Arbeitgeber, die Commerzbank?

Ich habe hier eine 50-Prozent-Stelle als Office-Manager, 20 Stunden pro Woche, immer dienstags bis donnerstags. Sonst wäre das gar nicht möglich. Ich habe Glück, dass mein Arbeitgeber extrem flexibel ist, gerade jetzt, wo ich auch international dabei war.

Warum werden Sie kein Profi-Schiedsrichter?

Ab wann ist man Profi Schiedsrichter? Wenn man jeden Tag Zeit für den Fußball investiert? Jeder Bundesligaschiedsrichter ist professionell in seiner Lebensweise und richtet dementsprechend die Zeit für die Schiedsrichterei aus. Was ist zum Beispiel, wenn ich mich verletzte und nicht mehr pfeifen kann? Beim Thema Profischiedsrichter gibt es noch viele offene Fragen. Aktuell finde ich meine Situation gut und vor allem unabhängig.

Und spielt ein Bundesliga-Schiedsrichter noch Fußball?

Ja, ich auf jeden Fall. Wir Schiedsrichter sind Schiedsrichter geworden, weil wir den Fußball lieben. Aktiv im Verein habe ich über zehn Jahre gespielt und mit 15 aufgehört, weil ich ab diesem Zeitpunkt dann jede Minute in die Schiedsrichterei investieren wollte. Ich versuche immer einmal in der Woche mit Werders Traditionself unter der Leitung von Lars Unger zu kicken. Das hilft mir, die Bewegungsabläufe und Perspektive der Fußballer immer wieder vor Augen zu haben.

Das Gespräch führte Mathias Sonnenberg.

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